Börsentermingeschäftsfähigkeit: Warum man sie nicht mehr so einfach bekommen kann?

Herr X investiert seit einiger Zeit recht erfolgreich in Aktien. Eines Tages erzählt ihm ein Freund, dass er schon öfter in wenigen Wochen über 100 % Gewinn mit Optionsscheinen gemacht hat und dass Herr X das unbedingt auch mal versuchen sollte. Daraufhin wird Herr X neugierig und begibt sich zu seiner Bank, um mehr über diese geheimnisvolle Form der Geldanlage zu erfahren. Sein Bankberater teilt ihm mit, dass die Spekulation mit besonderen Risiken behaftet sei und Herr X sich vorher unbedingt über diese Risiken informieren müsse, um die notwendige Börsentermingeschäftsfähigkeit zu erhalten. Er überreicht Herrn X eine Info-Broschüre, in der die besonderen Risiken der Geldanlage in Optionsscheinen erläutert sind, außerdem ein Formular, welches Herr X unterzeichnen müsse; mit der Unterschrift bestätige er, dass er über die Risiken informiert sei, und werde damit börsentermingeschäftsfähig.

Voller Freude begibt sich Herr X nach Hause und studiert in den nächsten Tagen aufmerksam die Info-Broschüre. Schließlich ist er sich sicher, dass er die Funktionsweise von Optionsscheinen verstanden hat und bringt das unterzeichnete Formular am nächsten Tag seinem Bankberater. Dieser warnt ihn nochmal kurz vor zu riskanten Engagements und wünscht ihm viel Erfolg.

Herr X studiert daraufhin sehr genau die Aktienmärkte und entschließt sich am dritten Tag, nun endlich auch seine ersten Gewinne mit Optionsscheinen zu machen. Er sucht sich einen Optionsschein auf eine Aktie heraus, von der er überzeugt ist, mit einem schön hohen Hebel und sehr preiswert, da er nur wenige Cent kostet. Herr X prüft den aktuellen Briefkurs im Videotext und rechnet aus, wie viele Scheine er für 10.000 Euro etwa kaufen kann und kommt auf etwa 40.000 Stück. Er erteilt seiner Bank die Order und erhält zwei Tage später die Ausführungsbestätigung. Er ärgert sich ein wenig, dass der Ausführungskurs zwei Cent über dem damaligen Videotextkurs liegt, lässt es aber dabei bewenden.

In den nächsten Tagen muss Herr X feststellen, dass sein Optionsschein offensichtlich überhaupt nicht so will wie er sich das vorgestellt hat. Mal steigt er bei fallendem Aktienkurs, mal fällt er bei steigendem Aktienkurs, dann wieder bewegt er sich überhaupt nicht, obwohl die Aktie an diesem Tag um mehrere Prozent gestiegen ist. Verwundert ruft Herr X seinen Bankberater an und fragt diesen, was da los sei. Der Bankberater erklärt ihm, dass auch eine steigende und fallende Volatilität großen Einfluss auf den Optionsscheinkurs habe, dass man diese aber nie genau vorhersehen könne. Nach sechs Wochen hat sich der Optionsscheinkurs halbiert. Um seinen Einstandkurs zu vermindern, kauft Herr X für 5000 Euro weitere Scheine nach. In den nächsten Tagen steigt der Optionsschein wieder um wenige Cent, Herr X überlegt schon, ob er nicht verkaufen sollte, da die Restlaufzeit knapp wird, entscheidet sich aber dagegen, da er bei der Aktie einen klaren Aufwärtstrend zu erkennen glaubt. Leider tut sich bei der Aktie nicht mehr viel, nach weiteren vier Wochen ist der Optionsschein fast nichts mehr wert, Herr X erteilt entnervt seine Verkaufsorder, um wenigstens noch ein paar Euro zu retten.

Und hier geht der Ärger los

Herr X ärgert sich maßlos über seine Verluste und blickt in der nächsten Woche noch einmal in seine Info-Broschüre, findet darin aber nichts über den Begriff Volatilität. Daraufhin schaltet er seinen Anwalt ein und verklagt seine Bank wegen unzureichender Aufklärung auf Ersatz der entstandenen Verluste.

Obwohl er das Formblatt „Wichtige Informationen über Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften“ unterzeichnet hatte, hat Herr X mit seiner Klage Erfolg. Seine Bank muss ihm die entstandenen Verluste ersetzen, da sie ihn nicht ausreichend über die Funktionsweise von Optionsscheinen und die damit verbundenen Verlustrisiken aufgeklärt hat.

Fälle wie der geschilderte sind kein Einzelfall. Immer wieder erleiden Anleger – zumeist aufgrund mangelnder Kenntnisse – Verluste bis hin zum Totalverlust bei Engagements, für die die Börsentermingeschäftsfähigkeit (im folgenden „BTG“ genannt) erforderlich ist, und versuchen dann, sich mittels einer Klage ihr Geld zurückzuholen. Und viele hatten bereits Erfolg damit. Deswegen möchte ich hier kurz die Rechtslage klarstellen und erläutern, warum insbesondere die Direktbanken mittlerweile so vorsichtig mit der Vergabe der BTG sein müssen.

Das Börsengesetz vom Bundesgerichtshof

In seinem Urteil vom 11.06.1996 (X 1 ZR 172/95) hat der Bundesgerichtshof einen zweistufigen Anlegerschutz statuiert: Die erste Stufe betrifft die sogenannte Börsentermingeschäftsfähigkeit. Börsentermingeschäfte sind nur dann gültig, wenn der Anleger börsentermingeschäftsfähig ist. Nach § 53 Abs. I Börsengesetz sind dies Kaufleute, nach § 53 Abs. II Börsengesetz können es auch Personen werden, die schriftlich über dem Gesetz auf genauer aufgeführte Risiken hingewiesen worden sind. Hierfür ist die gängige Informationsschrift der Banken ausreichend, diese wurde bereits mehrfach vom BGH überprüft.

In der zweiten Stufe muss die Bank den Anleger jedoch zusätzlich individuell informieren und beraten. Dabei muss sie auf die individuellen Verhältnisse des Anlegers und die Eigenart der jeweiligen Geschäfte eingehen. Für diese zweite Stufe ist die Informationsschrift nicht ausreichend. Im Falle der Verletzung der individuellen Aufklärungspflicht sind Schadensersatzansprüche gegen die Bank die Folge. Mit der Unterzeichnung des Formblattes „Wichtige Informationen über Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften“ vor der ersten Order (!) muss der Anleger die Aufklärung bestätigen. Der Umfang der Aufklärung in der zweiten Stufe hängt jedoch von der Geschäftserfahrenheit und den Vorkenntnissen des Anlegers ab! Im Einzelfall muss jeweils das Gericht entscheiden. Es wurden inzwischen auch schon etliche Klagen von Anlegern abgewiesen, da die Gerichte befanden, dass der Anleger trotz fehlender Aufklärung in zweiter Stufe sehr wohl über die Risiken Bescheid wusste!

Gerade diese zweite Stufe ist es, die den Direktbanken Probleme bereitet. Denn Sinn einer Depoteröffnung bei einer Direktbank ist es ja gerade, durch den Wegfall individueller Beratungen Gebühren zu sparen! Daher sind die Direktbanken auf die Angaben des Anlegers angewiesen. Normalerweise ist beim Ausfüllen des Formblattes zur Anlagestrategie (Risikoklassen) auch anzugeben, ob und wie viele Jahre man bereits Erfahrung in den einzelnen Risikoklassen besitzt. Hat jemand noch überhaupt keine Anlageerfahrung im Bereich Optionsscheine, so muss er leider damit rechnen, dass ihm die BTG verweigert wird. Eine individuelle Beratung kann ihm die Direktbank nicht anbieten, daher darf sie dem Anleger zu ihrem eigenen Schutz vor Schadensersatzklagen wie im geschilderten Fall die BTG nicht erteilen. Derjenige, der nun bei der Angabe seiner Anlagestrategie bewusst falsche Angaben macht, z. B. also angibt, er habe schon mehrere Jahre Anlageerfahrung mit Optionsscheinen, obwohl er diese gar nicht hat, der hat möglicherweise tatsächlich bessere Chancen, die BTG zu erhalten, sollte aber auch wissen, dass er mit einer späteren Schadensersatzklage mit ziemlicher Sicherheit scheitern wird.

Tipps, die vielleicht helfen können, die BTG zu erlangen:

  1. Die Vorlage möglichst mehrerer Bescheinigungen über den Besuch von Optionsschein-Seminaren.
  2. Die Vorlage von Depotauszügen der früheren Bank, auf denen zu erkennen ist, dass und evtl. mit welchen Resultaten man in der Vergangenheit Optionsscheine gehandelt hat.
  3. Vorlage einer Bestätigung der früheren Bank, dass man die BTG besaß und Optionsscheine gehandelt hat.
  4. Im äußersten Fall: Abgabe einer schriftlichen Erklärung, dass man gegenüber der neuen Bank von vornherein ausdrücklich auf Schadensersatzansprüche im Fall von Verlusten verzichtet. Wer dies macht, sollte sich allerdings sehr genau überlegen, was er da tut, er gibt damit jegliches Recht auf Schadensersatz im Verlustfall auf!
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