Optionsschein Delta: So funktioniert diese Kennzahl!

Ich hab nun die wichtigsten „einfachen“ Kennzahlen weitgehend behandelt. Die folgenden Kennzahlen werden in der Praxis nicht mehr von Hand berechnet, diese Arbeit nehmen dir die heutigen Rechner ab. Allein für die Berechnung einer historischen Volatilität würde man alle erforderlichen historischen Kurse benötigen und müsste mit diesen weiterrechnen. Dennoch möchte ich den mathematisch Versierten unter meinen Besuchern jeweils angeben, wie diese Kennzahlen in der Theorie zustande kommen. Für die Berechnung komplexerer Kennzahlen benötigt man die Black-/Scholes-Formel oder ein anderes Optionspreismodell bzw. deren Weiterentwicklungen. Die Black-Scholes-Formel und einige Erläuterungen dazu finden Interessierte hier. Du solltest allerdings gute Mathematikkenntnisse aus der Schule und möglichst Grundkenntnisse der Statistik mitbringen.

Das Delta

Ich will der nun die Bedeutung des Delta erläutern. Mathematisch ist das Delta die erste Ableitung der Optionspreismodell-Formel (in der Regel einer Weiterentwicklung von Black/Scholes) nach dem Kurs des Basiswerts: Man nimmt also bei gegebenen anderen Faktoren den Kurs des Basiswerts als Variable und leitet danach ab.

Damit der aktuelle Hebel (im Beispiel aus Teil 6 10,5-fach) auch tatsächlich in der angegebenen Größen­ordnung wirkt, muss ein Delta von 100 % vorliegen. Das Delta ist die wichtigste Kennzahl eines Optionsscheins. Es ändert sich jedoch ebenfalls wie alle anderen Kennzahlen ständig, Angaben in Kurstabellen sind auch hier nur Momentaufnahmen.

Delta = Wahrscheinlichkeit der Ausübung

Das Delta kann bis zu einem gewissen Grad als „Ausübungswahrscheinlichkeit“ interpretiert werden. Es kann beim Call Werte zwischen 0 % und 100 % annehmen. Beim Put liegen die möglichen Werte zwischen 0 % und -100 %. Ein Delta von 60 % bzw. -60 % bedeutet, dass der Optionsschein mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 % ausgeübt werden kann.

Ein Optionsschein, der dicht „am Geld“ notiert, hat ein Delta von etwa 50 % (bzw. -50 %). Das bedeutet, dass die Möglichkeit einer Ausübung des Optionsrechtes in der Zukunft ungefähr genauso wahrscheinlich ist wie ein wertloser Verfall des Optionsscheines. Etwas einfacher ausgedrückt: Ein Optionsschein wird natürlich – wenn überhaupt – nur dann ausgeübt, wenn er „im Geld“ steht. Notiert der Schein aktuell am Geld, so wird er sich in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % „ins Geld“ bewegen. Damit wäre eine Ausübung möglich. Genauso wahrscheinlich ist es aber, dass er sich „aus dem Geld“ bewegt. Eine Ausübung wäre dann nicht mehr sinnvoll, man würde dann gewissermaßen einen Cheeseburger für 2 Euro kaufen, obwohl er nur 1,50 Euro kostet!

Ein Schein, der „tief im Geld“ notiert, kann dagegen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ausgeübt werden, es ist eher unwahrscheinlich, dass er irgendwann einmal „aus dem Geld“ notieren wird. Ein solcher Optionsschein hat folglich ein Delta nahe 100 % (bzw. -100 %). Umgekehrt besitzt ein Schein, der weit „aus dem Geld“ notiert, ein Delta nahe 0 %, es ist eher unwahrscheinlich, dass dieser Schein irgendwann einmal ausgeübt wird.

Generell lässt sich sagen, dass Scheine mit einem Delta, das kleiner ist als 30 % oft sehr unberechenbar sind. Sie reagieren nicht mehr oder nur noch sehr schwach auf Veränderungen des Basiswerts. Viele sind praktisch wertlos, da der Basispreis in hoffnungslose Ferne gerückt ist. Sie bestehen nur aus Zeitwert, so dass eine Veränderung der Volatilität sich sehr stark bemerkbar macht und oft neben dem Zeitwertverlust der einzige Faktor ist, der den Optionsscheinkurs überhaupt verändert.

Delta und die Preissensitivität

Das Delta gibt gleichzeitig die Sensitivität eines Optionsscheins zum Kurs des Basiswertes an. Die Kennzahl Delta wird daher auch manchmal als „Preissensitivität“ bezeichnet.

Ein Delta von 50 % bedeutet, dass der Optionsschein eine Kursbewegung des Basiswertes zu 50 % nachvollzieht, wenn also der Kurs des Basiswertes um 1 Euro steigt, erhöht sich der Wert des Call-Optionsscheins um etwa 0,50 Euro. „Etwa“, denn sobald sich der Wert der Basis – wenn auch nur geringfügig – ändert, ändert sich auch sofort das Delta. Zudem unterliegt das Delta auch noch anderen Einflüssen, wie man an der Black-Scholes-Formel sieht. Es gilt immer nur für den nächsten „Tick“, dann nimmt es sofort einen anderen Wert an.

Nun wird auch deutlich, warum das Delta beim Put immer negativ sein muss: Ein Put reagiert ja nicht wie die Basis, sondern entgegengesetzt, er steigt, wenn der Kurs des Basiswertes fällt und umgekehrt. Wenn also der Basiswert um 1 Euro steigt, fällt ein Put mit einem Delta von -50 % um etwa 0,50 Euro. Bei Scheinen, die sich „ins Geld“ bewegen, wird das Delta allmählich größer. Damit steigt auch die Sensitivität des Optionsscheins zur Basis: Kursveränderungen werden stärker nachvollzogen.

Bei Scheinen, die sich dagegen „aus dem Geld“ bewegen, wird das Delta immer kleiner. In Extremfällen kann dies dazu führen, dass der Kurs des Optionsscheines fast nicht oder sogar überhaupt nicht mehr auf Kursveränderungen des Basiswertes reagiert. Solche Scheine sind praktisch wertlos. Die Chance auf Ausübung des Optionsrechtes in der Zukunft ist praktisch gleich null. Der Wert eines Optionsscheins dagegen, der tief im Geld ist, besteht fast vollständig aus innerem Wert. Der Zeitwertanteil ist nur noch sehr klein. Ein solcher Optionsschein bewegt sich quasi im Gleichschritt mit dem Preis des Basiswertes und hat ein Delta von nahe 100 % bzw. -100 %.

Berechnung von Omega mit Hilfe des Delta

Die entscheidendste Hilfe liefert das Delta durch Verrechnung mit dem aktuellen Hebel.

Es ist bereits bekannt, dass der aktuelle Hebel mit dem Verhältnis Aktienkurs/Optionsscheinkurs wächst. Damit bei einem aktuellen Hebel von 10 ein Call-Optionsschein auch wirklich um 10 % steigt, wenn sich der Basiskurs um 1 % erhöht, muss ein Delta von 100 % vorliegen. Dies ist jedoch nur bei den Scheinen der Fall, die weit im Geld liegen. Im Normalfall wird die Kurssteigerung des Optionsscheins geringer sein, als es der aktuelle Hebel anzeigt. Doch um wie viel geringer?

Hier erweist sich das Delta als äußerst hilfreich: Das Delta präzisiert den aktuellen Hebel. Man erhält durch Multiplikation mit dem aktuellen Hebel eine neue Hebelgröße, die sich in den Kurstabellen meist unter der Bezeichnung „Omega“, „Hebel theoretisch“ oder „Hebel effektiv“ findet.

Omega = Hebel (aktuell) x Delta

Ein Optionsschein mit einem aktuellen Hebel von 10 und einem Delta von 50 % hat also „nur“ einen effektiven Hebel von 5, der Schein steigt also etwa um 5 %, wenn die Basis um 1 % steigt. Auch hier ist jedoch wieder zu beachten, dass sowohl der aktuelle Hebel wie auch das Delta sich ständig ändern, und damit auch das Omega. Dennoch liefert Omega ein relativ gutes Bild von den Chancen – und Risiken! -, die der entsprechende Optionsschein bietet.

Wie wenig aussagekräftig der aktuelle Hebel sein kann, zeigte beispielsweise ein katastrophaler Scheine auf Hikari Tsushin: Ein Call mit Restlaufzeit von 1,5 Jahren, notiert so weit aus dem Geld, dass das Delta fast 0 % betrug. Dem aktuellen Hebel von 15,95 stand demzufolge ein Omega von 0,02 gegenüber… Finger weg von solchen Scheinen! Wenn du ein Delta wählst, das größer als 0,3 ist, kannst du sich sicher sein, dass dein Optionsschein zumindest auch auf Bewegungen deines Basiswerts reagiert. Und: Nie auf den (aktuellen) Hebel schauen, diese Kennzahl hat praktisch keine Aussagekraft!

Die größte Auswirkung auf das Delta hat eindeutig eine Veränderung des Basiswertes und damit eine Veränderung des inneren Wertes des Optionsscheines. Je tiefer der Optionsschein im Geld notiert, desto größer wird das Delta. Die weiteren Einflussfaktoren auf das Delta nach dem Optionspreismodell werden ich in einem späteren Artikel noch behandeln.

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